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„Schwarmintelligenz“ auf den Markt bringen: Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung

In unserem letzten Blogbeitrag wurde diskutiert, warum Qualitätssicherung mit einem ganzheitlichen Blick auf die Bildungspraxis gedacht werden muss. Die Kernthese ist: Qualität sei ein partizipativer Aushandlungsprozess. Dr. Bodo Rödel vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hinterfragt dies innerhalb der Praxis in der beruflichen Bildung: Ist Qualitätssicherung durch „Schwarmintelligenz“ bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien überhaupt möglich? Da Betriebe ihre ganz spezifischen Lern- und Lehrmaterialien benötigen und Weiterbildung ein lukrativer Markt für Wenige ist, lässt sich vermuten: nein. Scheitern demnach OER an den wirtschaftlichen Interessen im Bereich der Berufsbildung? Wie schätzen Sie die Chancen für OER in der beruflichen Bildung ein? Diskutieren Sie mit uns!

Dr. Bodo Rödel leitet den Arbeitsbereich „Publikationsmanagement/Bibliothek“ im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Vorher war er sechs Jahre für einen der führenden Verlage in der beruflichen Bildung als (Senior-)Projektmanager tätig.

 

Welche Rolle können OER in der beruflichen Bildung spielen?

An Open Educational Resources (OER) werden für die zukünftige Entwicklung von Lehren und Lernen hohe Erwartungen geknüpft. Gleichwohl OER ein Querschnittsthema im Bildungsbereich sind, gibt es – im Gegensatz zu Themen wie etwa Open Access in der Wissenschaft – zu OER noch vergleichsweise wenig belastbare Untersuchungen oder Literatur. Dementsprechend ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig, spezifische Aussagen zur Nutzung von OER für die berufliche Bildung zu treffen. Dies gilt umso mehr, als sich die Debatte in Deutschland zurzeit auf Hochschule und Schule sowie auf Erwachsenen- und Weiterbildung konzentriert. Dabei wird das Thema von ganz unterschiedlichen Interessenvertreterinnen und -vertretern mehr oder weniger stark vorangetrieben. In der beruflichen Aus- oder Weiterbildung scheinen OER bis heute kaum eine Rolle zu spielen. Auch in der Aufstiegsfortbildung oder der beruflichen Umschulung werden OER zurzeit kaum eingesetzt. Gleiches gilt etwa für den Fernunterricht.

Lehrmaterial für die berufliche Ausbildung wird, insofern nicht von Verbänden oder Firmen direkt zur Verfügung gestellt, von Schulbuchverlagen produziert. Hier hat es in den letzten Jahren einiges an Konzentrationsbewegungen gegeben, sodass nur wenige große Player und einige kleinere Verlage sich diesen durchaus lukrativen Markt aufteilen. Die Existenzberechtigung der Verlage basiert weitestgehend auf dem Anspruch einer eingehenden redaktionellen Prüfung der fachlichen Inhalte, ihrer professionellen didaktischen Aufbereitung und ansprechenden Gestaltung. Ohne diese Punkte hinsichtlich ihrer Realisierung im Einzelnen bewerten zu wollen, stehen OER gerade mit Blick auf den Gedanken einer Qualitätssicherung noch am Anfang. Bezug genommen wird dabei zum einen auf die „Schwarmintelligenz“. Zum anderen sollte es aber transparente Mindeststandards, wie etwa eine genaue Benennung der Quelle bzw. Herkunft und des fachlichen Hintergrunds der Urheberschaft, geben. Bei einer systematischen Sammlung von OER, z. B. durch gesellschaftlich finanzierte Akteure, wäre zudem an einen Kriterienkatalog zu denken, der beispielsweise über die sachliche Korrektheit, die Aufbereitung der Inhalte oder die Ausgewogenheit der inhaltlichen Darstellung Auskunft gibt. Denkbar wäre auch ein strukturiertes Peer-Review-Verfahren, wie es in wissenschaftlichen Kontexten Anwendung findet.

Mit Blick auf den großen Anteil an Betrieben, die in innerbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen investieren, lässt sich noch am ehesten eine Verbindung zwischen beruflicher Bildung und OER herstellen. Bei den Weiterbildungsmaßnahmen handelt es sich zumeist um Angebote von Branchen-/Weiterbildungsverbänden oder privatwirtschaftlich organisierten Dienstleistern. Aus Sicht der beauftragenden Unternehmen ist es besonders wichtig, Inhalte zu erhalten, die zu den eigenen Interessen passen. Dies dürfte sich zwangsläufig auch in der Gestaltung der Schulungsunterlagen widerspiegeln, was einen Einsatz als OER erschweren dürfte. Schließlich verfolgen die Weiterbildungsanbieter ganz klar eigene wirtschaftliche Interessen. Das Lehr-Lern-Material als OER zur Verfügung zu stellen, dürfte dieser Interessenlage widersprechen.

Solch eine Gemengelage von spezifischem Material einerseits und wirtschaftlichem Interesse andererseits scheint dazu zu führen, dass OER in diesem Feld nicht genutzt werden. Unklar ist allerdings auch, inwieweit Weiterbildungsanbieter über OER überhaupt informiert sind. Dabei ist zu vermuten, dass OER am ehesten im Zusammenhang mit MOOCs eingebunden werden könnten, da solch ein Kursangebot ebenfalls Lehr-Lern-Material benötigt. Hier stellen sich natürlich weitreichende Fragen der Lizensierung, da nicht alle MOOCs offen lizensiert sind. Schließlich ist es aus Sicht der Unternehmen zentral, dass ein definiertes Lernziel erreicht wird – zu diskutieren bleibt, wie offene und bearbeitbare Lernmaterialien zu diesem Ziel passen.

Als weiteres Hindernis für OER wären fehlende gesetzliche Vorgaben zu nennen, die z. B. mit Blick auf Lizensierungen von Lehrgängen keinen konsequenten Einsatz von OER verlangen. Dementsprechend werden von Berufsverbänden angebotene Lehrgänge nicht durch OER unterstützt. Auch muss in dieser Diskussion konstatiert werden, dass mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen der Anbieter OER zunehmend als Bedrohung z. B. für den Bereich des E-Learnings erlebt werden.

Der fehlende Einsatz von OER im Bereich der beruflichen Bildung ist umso erstaunlicher, wenn man den hohen Stellenwert dieses Segments im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland in Betracht zieht. Zudem sollte der kostenfreie Einsatz von OER für Unternehmen doch eigentlich von großem wirtschaftlichen Interesse sein. Vielleicht gibt es hier aber auch den Vorbehalt, dass „was nichts kostet, auch nichts ist“.

Möchte man OER für die berufliche Bildung nutzbar machen, sollten Möglichkeiten der userfreundlichen Suche, Auswahl und Bewertung geschaffen werden. Wert gelegt werden muss auf eine hochwertige Qualität und eine systematische Absicherung der Inhalte. Dabei ist durchaus eine Wechselwirkung zwischen der Produktion hochwertiger OER und dem Selbstmarketing der Institutionen zu erwarten, die dieses Material zur Verfügung stellen. Schließlich wäre mit einer zentralen Plattform auch eine „Abstimmung mit den Füßen“ denkbar – schlechtes Material würde in einem Ranking oder durch entsprechende Feedbackfunktionen automatisch verschwinden.

 

Literatur:

Blees, I.; Deimann, M.; Seipel, H.; Hirschmann, D.; Muuß-Merholz, J.: „Whitepaper Open Educational Resources (OER) in Weiterbildung/Erwachsenenbildung“ Bertelsmann Stiftung u.a. 2015

Deutsche UNESCO-Kommission e.V.: „Was sind open educational Resources?“ 2013

Rödel, B.: „Open Educational Resources“ in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 6/2013, urn:nbn:de:0035-bwp-13654-5

 

Autor:

Dr. Bodo Rödel, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Leiter des Arbeitsbereiches „Publikationsmanagement/Bibliothek“

Kontakt: roedel@bibb.de

 

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