In unserem Auftaktbeitrag zum Thema “Geschäftsmodelle” richtet Leonhard Dobusch den Fokus auf mögliche Finanzierungswege für OER in Deutschland. Ausgehend von der Frage nach der Qualität kostenloser Lernmittel im Internet, betont der Autor die stark divergierenden Angebote von wirtschaftsnahen und öffentlichen Herausgebenden. Angebote öffentlicher Quellen seien überwiegend als gut bewertet, aber im Netz schwer auffindbar, sagt Dobusch. Die Materialien wirtschaftsnaher Herausgebender hingegen hätten bedeutend mehr didaktische Schwächen, seien dafür aber leichter zu finden. “An diesem Punkt könnte OER Abhilfe schaffen”, so Dobusch. Indem bestehende Verfahren der — primär öffentlichen — Lernmittelfinanzierung für OER geöffnet würden, so führt Dobusch zusammen, seien verschiedene Wege der Finanzierung denkbar. Wie können diese Finanzierungswege aussehen und umgesetzt werden? Wir freuen uns über Ihren Diskussionsbeitrag.
Öffentliche Lernmittelfinanzierung für OER öffnen
In der Debatte zur freien Lernunterlagen (Open Educational Ressources, OER) wird von VerlagsvertreterInnen regelmäßig drohender Qualitätsverlust als Argument gegen OER ins Treffen geführt. Tatsächlich ist es aber so, dass Lernmittelqualität überhaupt keine OER-spezifische Frage sondern ganz allgemein ein Problem kostenlos digitaler verfügbarer Materialien im Internet darstellt. Mehr noch, mehr OER ist diesbezüglich sogar ein wesentlicher Teil der Lösung und nicht des Problems. Denn erst wenn neue oder reformierte Finanzierungsmodelle für Erstellung von Lernunterlagen es erfahrenen AutorInnen ermöglichen, ihre Kompetenz in Entwicklung von OER einzubringen, ist eine nachhaltige Verbesserung des Angebots an frei digital zugänglichen Lernunterlagen zu erwarten.
Verfechter von OER werden dabei nicht müde zu betonen, dass OER mehr sind als bloß kostenlos und digital verfügbare Lernunterlagen. Erst offene Formate und offene Lizenzen ermöglichen, dass Materialien ohne Rechte klären zu müssen verändert, miteinander kombiniert und weiterverbreitet werden dürfen. Gleichzeitig gibt es aber bereits eine große Menge an kostenlosen Angeboten im Netz, die weder offen lizenziert sind noch die Qualitätskriterien herkömmlicher Schul- und Lehrbücher erfüllen.
Viele wirtschaftsnahe Materialen sind mangelhaft
So hat beispielsweise die Verbraucherzentrale Bundesverband einen Materialkompass Verbraucherbildung ins Leben gerufen, der zumindest einen kleinen Teil der kostenlos verfügbaren Angebote hinsichtlich Qualität untersucht. Eine Analyse von 450 erfassten Bildungsmedien aus dem Jahr 2014 hat dabei gezeigt, dass sich die Qualität der Angebote je nach Herausgeber stark unterschieden (siehe auch Abbildung 1). Wurden die Angebote aus öffentlicher Quelle sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen überwiegend als „sehr gut“ oder „gut“ bewertet, erzielte nur ein Drittel der wirtschaftsnahen Medien dieses Ergebnis. Noch deutlicher das Ungleichgewicht der als „mangelhaft“ bewerteten Materialien, die zu 74% von wirtschaftsnahen Herausgebern stammen. Neben didaktischen Schwächen leiden diese Materialien unter anderem auch an Verletzungen des Kontroversitätsgebots, also der kontroversen Darstellung gesellschaftlich umstrittener Themen.
Der bisweilen fehlenden Qualität zum Trotz sind es gerade wirtschaftsnahe Lernunterlagen, die besonders einfach und gut mittels herkömmlicher Suchmaschinen auffind- und nutzbar sind. Qualitätsgesicherte und öffentlich oder über Elternbeiträge finanzierte Lernunterlagen lassen sich hingegen nur schwer finden und noch schwerer nutzen. Genau an diesem Punkt könnte OER Abhilfe schaffen.
Wenn auch herkömmliche Schul- und Lehrbücher vermehrt als OER im Internet zugänglich gemacht werden, wären sie viel einfacher auffind- und verwendbar und könnten damit interessensgeleiteten Kostenlosangeboten das Wasser abgraben. Voraussetzung dafür wäre jedoch, die bestehenden Praktiken der Lernmittelfinanzierung so zu adaptieren, dass vorhanden Mittel überhaupt für OER ausgegeben werden können.
Lernmittelfinanzierung für OER öffnen
Die derzeitige Form der Lernmittelfinanzierung stammt noch aus prädigitaler Zeit und ist ganz auf das gedruckte Buch ausgerichtet. Deshalb zögern Verlage auch, OER-Lernunterlagen anzubieten, weil sie befürchten, dann nicht genug am Verkauf gedruckter Bücher zu verdienen, wenn die Unterlagen digital frei verfügbar sind. Hier wäre es also erforderlich, auch eine Vorfinanzierung von Lernunterlagen zu ermöglichen, die dann unter offenen Lizenzen zugänglich gemacht werden. Erst wenn vorhandene Lernmittelfinanzierung für OER-Geschäftsmodelle geöffnet werden, ist es der öffentlichen Hand möglich, wie von der gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe in ihrem Bericht zu OER gefordert, „strikte Neutralität zu wahren“ (S. 7).
Das Potential für OER im Bereich öffentlich finanzierter Lehr- und Lernmittel ist dabei groß. Eine oberflächlichliche Analyse der Lernmittelfinanzierung im Schulbereich zeigt, dass in der großen Mehrheit der deutschen Bundesländer Lernmittel entweder gänzlich öffentlich oder über (meist: ergänzende) Elternbeiträge finanziert werden (vgl. Abbildung 2).
Wie eine Öffnung von Lernmittelfinanzierung für OER Einzelfall genau aussehen könnte, hängt in Deutschland von den jeweiligen Landesbestimmungen ab. Für Berlin habe ich gemeinsam mit anderen in einer Studie für die Technologiestiftung Berlin ein Modell erarbeitet, das Anschaffungsentscheidungen weiterhin dezentral bei den Schulen belässt, gleichzeitig aber ähnlich wie bei Crowdfunding die Finanzierung von OER ermöglicht. Klarerweise sind auch andere Finanzierungswege, z.B. über Ausschreibungen oder Wettbewerbe denkbar.
Eine derartige Reform öffentlicher Lernmittelfinanzierung würde schließlich überhaupt erst die Voraussetzungen für nachhaltige OER-Geschäftsmodelle schaffen. Auch traditionelle, buchbasierte Geschäftsmodelle im Bereich Lernmittelerstellung sind auf Zugang zu öffentlichen Geldern angewiesen. Ebendieser Zugang bleibt OER-Geschäftsmodellen in Deutschland bislang verwehrt.
Literatur:
Dobusch, L./Heimstädt, M./Hill, J. (2014): Open Education in Berlin: Benchmark und Potentiale
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (Hrsg., 2014): Unterrichtsmaterial unter der Lupe: Wie weit geht der Lobbyismus in Schulen?
Autor:
Leonhard Dobusch, Betriebswirt und Jurist, forscht als Juniorprofessor für Organisationstheorie an der Freien Universität Berlin zum Management digitaler Gemeinschaften und zu transnationaler Urheberrechtsregulierung. Er bloggt regelmäßig bei netzpolitik.org und ist Herausgeber mehrerer Bücher zu Themen des digitalen Wandels, zuletzt gemeinsam mit Valie Djordjevic „Generation Remix: Zwischen Popkultur und Kunst“ (2014, iRights.Media).
2 Kommentare
Es wäre schön, wenn man im Diagramm „Noten nach Anbietern“ nicht die absolute Anzahl in jeder Spalte, sondern den relativen Anteil der Werke in jeder Spalte zur Gesamtzahl der Werke in der entsprechenden Kategorie darstellt.
Sprich: Sei bspw. n_i die Anzahl der NGO-Werke in der Kategorie i mit i \in { sehr gut, gut, … , mangelhaft }. Dann würde ich anstelle von n_i den Anteil n_i / Σ n_i darstellen.
Ergänzung: So hat man den Eindruck, dass öffentlich geförderte Werke generell am Besten sind. Dabei ist einfach deren absolute Anzahl in der Studie am größten…