Welche Rolle spielt staatliche Förderung für Open Educational Resources?

„Frei, aber nicht kostenlos“ – auf diese knappe Formel gebracht, kann man Anspruch und Realität von Open Educational Resources (OER) beschreiben. Potentialfelder und Lösungsansätze zu erarbeiten war die Aufgabenstellung für das Projekt „Mapping OER – Bildungsmaterialien gemeinsam gestalten“.

Dabei galt es, Rahmenbedingungen, Interessen und Erwartungen der Vertreterinnen und Vertreter aus den vier großen Bildungsbereichen (Schule, Hochschule, Berufliche Aus- und Weiterbildung, Allgemeine Weiterbildung) und deren Stakeholder gleichzeitig zu berücksichtigen. Diese anspruchsvolle Aufgabe wurde mit einem intelligenten Projektdesign angegangen: durch die Abfolge von vier Expertenworkshops, einer übergreifenden Fachtagung mit einem anschließenden Verdichtungs-Workshop.

Eine zentrale Erkenntnis zu Beginn war: Geschäftsmodelle für Open Educational Resources können nicht losgelöst von den Themen Qualitätssicherung, Qualifizierung oder Lizenzierung und Rechtssicherheit betrachtet werden. Vielmehr können einzelne Lösungsansätze jeweils die Grundlage für ein eigenes Geschäftsmodell darstellen. Ich möchte mich im Folgenden auf die Bildungsbereiche „Berufliche Weiterbildung“ und „Allgemeine Weiterbildung“ konzentrieren und der Frage nachgehen, an welchen Stellen eine öffentliche Förderung für OER sinnvoll oder gar notwendig erscheinen kann – oder es eben explizit nicht ist.

Private und  öffentliche Finanzierung

Der Bildungsmarkt ist ein sehr heterogener Markt, der durch staatliche und öffentliche Vorgaben z. T. stark reglementiert ist. Dort lassen sich drei Bereiche identifizieren, je nach Grad der öffentlichen Finanzierung auf Seiten des Angebots oder der Nachfrage: So gibt es zum einen Bereiche, die annähernd komplett staatlich finanziert werden (z. B. einzelne arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nach dem Sozialgesetzbuch). Auf der anderen Seite gibt es die Bereiche, die sich durch das direkte Verhältnis zwischen privatwirtschaftlich orientierten Anbietern und Selbstzahlern auszeichnen (z.B. Coaching). Dazwischen gibt es viele Mischformen der Finanzierung, z. B. im Volkshochschulbetrieb. Im Rahmen von „Mapping OER“ galt es auszuloten, wo neue Geschäftsmodelle entstehen, vorhandene Modelle integriert oder modifiziert werden können oder wo stattdessen eine staatliche Finanzierung vonnöten ist.

Sowohl bei privatwirtschaftlich initiierten und organisierten Geschäftsmodellen als auch bei einer öffentlichen Finanzierung von Leistungen rund um Open-Educational-Resources sollten – frei nach dem Management-Vordenker Peter Drucker – folgende drei Fragen1 klar beantwortet werden können:

  • Welchen Nutzen stiftet ein Unternehmen2 seinen Kunden (Mitgliedern, Stakeholdern) und den an der Wertschöpfung beteiligten Partnern?
  • Wie erbringt das Unternehmen diesen Nutzen?
  • Wie und womit verdient das Unternehmen Geld (Wie wird es finanziert)?

In dem Workshop zum Thema Finanzierungs- und Geschäftsmodelle am 12.-13.11.2015 wurde ein Blick in die „Wertschöpfungskette von OER“3 geworfen: . An welchen Stellen und für welche Bildungsbereiche in der Wertschöpfungskette von OER können tragfähige Geschäftsmodelle entwickelt werden? Brauchen diese eine staatliche Anschubfinanzierung und gibt es Bereiche, in denen eine staatliche Dauerfinanzierung sinnvoll ist? Wenn letzteres gilt und öffentliche Mittel eingesetzt werden, muss die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen und danach, wie dieser Nutzen von wem erbracht werden kann, sehr genau beantwortet werden. Ein wichtiger Teil der „Wertschöpfungskette von OER“4  ist die Content-Produktion, also die Materialerstellung.

OER-Produktion zur Reputationssteigerung

Ein mögliches Motiv für die Erstellung von OER-Materialien ist die Steigerung der eigenen Reputation. So ist es in der Weiterbildung denkbar, dass Bildungsanbieter (privat oder öffentlich finanziert) und auch Fortbildende  und Dozierende OER-Materialien unter eigenem Namen/Branding erstellen und diese offensiv publizieren. Ziel ist die möglichst breite Nutzung durch die Zielgruppe von Lernenden, sowie die Verbreitung innerhalb des Fachkollegiums. Die Autorinnen und Autoren präsentieren sich damit als kompetente Expertinnen und Experten für bestimmte Themen oder Bildungsangebote und können auf diese Weise zusätzlich neue Kundschaft gewinnen. Die erstellten Materialien müssten nicht die jeweiligen Curricula abdecken, sondern können sich auch im Bereich von „Content-Nuggets“, also komplementären Angeboten, bewegen.

Viele Stiftungen und Verbände nutzen Open-Educational-Resources bereits im Rahmen ihrer Lobby-Arbeit für ihr eigenes Agenda-Setting. OER zur Reputationssteigerung oder im Sinne des Agenda-Setting zu integrieren, ist streng genommen kein eigenes Geschäftsmodell, sondern ein Instrument im Marketing-Mix. OER ist hier also nicht die Kernleistung oder das Produkt, sondern ein Mittel zum Zweck. Das Geld wird nach wie vor mit Leistungen an anderer Stelle verdient.

Wenn Bildungsanbieter sich für eine OER-Strategie entscheiden und beispielsweise ihre Dozierenden oder Kursleitenden verpflichten, Teile ihrer Materialien als OER zu erstellen und zu veröffentlichen, dann müssen sie für diese (finanzielle) Anreize schaffen. OER einzufordern bedeutet auch ein Anreizsystem für freiberuflich Lehrende mitzudenken, denn: die erstellten Materialien sind im traditionellen Sinn das Kapital der Lehrenden. Hier unterscheidet sich die Situation der freiberuflichen Lehrenden stark von jener der fest angestellten Lehrkräfte an Schulen.

OER aus der Pespektive Lernender

Eine weitere Herausforderung von OER stellt sich im Bereich der beruflichen Bildung aus der Nutzerperspektive. Nehmen wir das Beispiel einer Aufstiegsfortbildung bei der IHK zum „Geprüften Industriemeister — Fachrichtung Chemie (IHK)“: Diese Fortbildung basiert auf über 900 Unterrichtsstunden zzgl. 40 Unterrichtsstunden Prüfungsvorbereitung sowie ca. 6 Stunden wöchentlicher Selbstlernzeit. Am Ende dieser Zeit findet eine Prüfung statt, auf Basis der im Seminar vermittelten Inhalte, welche wiederum auf passend dazu abgestimmten Lernmaterialien basieren. Die Lernenden investieren nicht nur sehr viel eigene Lebenszeit, sondern zahlen über 5.500 € auch für die Gewähr, dass durch die aktive Teilnahme und die Bearbeitung der zur Verfügung gestellten Lern-Materialien die Prüfung zu schaffen ist. Die Frage, ob und wenn ja wie „frei“ und „veränderbar“ solche Lern-Materialien sein müssen und wie transparent die Qualitätssicherung organisiert sein muss, kann nicht ohne die berechtigten Erwartungen des Lernenden beantwortet werden.

OER-Produktion als Beauftragung

Eine öffentliche Finanzierung von OER-Material wäre nur an solchen Stellen ratsam, wo es keinen finanziell attraktiven oder funktionierenden Markt gibt, aber eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe oder Notwendigkeit. Hier kann man den Initiatorinnen und Initiatoren des „Schmerlenbacher-Appels“ nur zustimmen, die fordern, dass durch öffentliche Mittel erstellte Materialien für die Integration von Geflüchteten als Open-Educational-Resources produziert werden.5 Die Frage nach Materialerstellung für Integrations- und Sprachkurse für Geflüchtete sowie für Alphabetisierungskurse sind hierfür prägnante Beispiele. Wünschenswert sind Beauftragungen über Ausschreibungen von OER-Content, der später von der Community verändert und weiterentwickelt werden kann.

Anderseits wäre es kurios, öffentliche Mittel z. B. für die Erarbeitung von Materialien zum Thema „Projektmanagement“ aufzuwenden. Hier gibt es eine hohe Nachfrage aus zahlungskräftigen Kundengruppen und zahlreiche potente Bildungsanbieter, die aus eigener Kraft OER-Materialien entwickeln oder beauftragen könnten – wenn sie darin einen Mehrwert für die Lehre erkennen und die von ihnen beauftragten Lehrenden in solch ein Konzept des veränderten Umgangs mit Lehrmaterialien mit einbeziehen.

„OER ist nix ohne den Remix!“

Der Einsatz von OER kann grundsätzlich pädagogisch sinnvoll sein: „OER können einen Mehrwert bei der Vermittlung und Aneignung von Wissen darstellen und pädagogische Ziele wie beispielsweise die Individualisierung von Lehr-Lern-Prozessen fördern“, heißt es im Bericht der Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes zu OER.6 Eine öffentliche Förderung bezogen auf die reine Content-Produktion von OER greift zu kurz, wenn sie lediglich zu einem erhöhten Ausstoß an PDF-Dokumenten führt. Diese können zwar verbreitet und verwaltet, aber nicht weiter bearbeitet werden. Deshalb ist es so wichtig, den „Remix“ der Materialien zu ermöglichen. Richtig spannend wird es erst, wenn auch die Lernenden mit einbezogen werden und die Arbeit am Material Teil des pädagogischen Prozesses wird. Bildungsanbieter brauchen in diesen Fragen mehr Beratung hinsichtlich der Chancen und Möglichkeiten für die Lehre und den rechtssicheren Umgang mit Lizenzen. Denn allein durch die Rezeption von OER-Material verändert sich noch keine Seminarsituation. Große Bildungsträger wie Volkshochschulen oder auch IHKn sollten deshalb zunächst mit ihren Kursleitenden  Szenarien durchspielen, wie Materialien gesucht, bearbeitet und sogar zusammen mit Lernenden verändert werden können. Und sie müssen klären, ob und wie das im jeweils konkreten Fall zu den Lernzielen und zur Erwartung der Lernenden passt.

Nachhaltiger Mitteleinsatz für OER

Es lohnt sich dabei immer zu fragen, ob das „Insourcing“ vieler Leistungen rund um OER-Produktion, Metadatenvergabe und Distribution eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Lösung ist oder ob die Zusammenarbeit mit spezialisierten Fachleuten Entlastungen schafft, damit sich Bildungsanbieter mehr auf die Lehr- und Lernsituationen sowie die Qualifizierung ihrer Lehrenden  konzentrieren können. Wieviel Zeitanteile verbringt ein Lehrender mit der Erstellung und der Auswahl von Material und wieviel mit der Lehre? Diese Frage kann je nach Perspektive sehr unterschiedlich beantwortet werden. Die Antworten darauf bewegen sich in den Spannungfeldern zwischen persönlichem Engagement und Selbstausbeutung sowie betriebs- und volkswirtschaftlich effektivem oder bedenklichem Mitteleinsatz. Die Frage der Arbeitsteilung zwischen pädagogischer, technischer und organisatorischer Leistungserbringung im Kontext von OER sollte deshalb bei der Vergabe öffentlicher Mittel mit der notwendigen Sorgfalt, Transparenz und Ehrlichkeit diskutiert werden. Derzeit läuft OER nur über Modell-Projekte. Ziel muss es sein, nachhaltige Strukturen in Bezug auf Angebot und Nachfrage von OER zu etablieren.

 

Autor: Joachim Höper (Twitter: @Joachim_Hoeper)

Der Diplom-Medienwirt ist bei dem unabhängigen Bielefelder Wissenschaftsverlag und Mediendienstleister W. Bertelsmann Verlag (wbv) für die Programmbereiche Erwachsenenbildung und Personal- & Organisationsentwicklung verantwortlich. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit den Themen Open Access, Open Educational Resources und der Frage, wie öffentlich finanzierte Forschungs- und Projektergebnisse ihre Zielgruppen finden und nachhaltig verfügbar gehalten werden können.

 

Fußnoten

  1. Siehe hierzu: http://www.business-model-innovation.com/definitionen/geschaeftsmodell.htm
  2. Das Wort„Unternehmen“ steht hierbei synoym für Verein, Verband, Institut, Stiftung oder auch Landesbildungsserver.
  3. http://mapping-oer.de/wp-content/uploads/2015/11/Fotodokumentation_Potentialfelder_L%C3%B6sungsans%C3%A4tze_GM.pdf
  4. http://mapping-oer.de/wp-content/uploads/2015/11/Fotodokumentation_Potentialfelder_L%C3%B6sungsans%C3%A4tze_GM.pdf
  5. http://www.oer-fuer-fluechtlinge.de/
  6. http://www.bildungsserver.de/pdf/Bericht_AG_OER_2015-01-27.pdf

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