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OER als Treibstoff für Geschäftsmodelle

In unserem vorangegangenen Fachbeitrag zum Schwerpunktthema “Geschäftsmodelle” wurden Finanzierungswege für OER in Deutschland und eine damit verbundene Öffnung der öffentlichen Lernmittelfinanzierung diskutiert. Anknüpfend daran wirft Stefan Probst einen Blick auf nachhaltige Geschäftsmodelle für OER in unserem heutigen Blogbeitrag. Impulsgebend dafür seien, so Probst, Open-Source-Geschäftsmodelle, die sich teilweise auf OER übertragen lassen bzw. wegweisende Anknüpfungspunkte für OER bieten. Streng genommen, relativiert Probst, sei Open Source jedoch kein eigenständiges Geschäftsmodell, sondern ein Marketinginstrument, um gezielt Kunden zu gewinnen. Das Geschäftsmodell setzt sich viel mehr aus kombinierten Dienstleistungen und Angeboten zusammen, die über die Erstellung von Open-Source-Software (OSS) hinausgehen. OSS selbst sei als Rohstoff für ein Geschäftsmodell zu verstehen, betont Probst. Kann dies auch für OER gelten? Wir freuen uns über Ihre Kommentare.

Nachhaltige Geschäftsmodelle für OER

Open Educational Resources, kurz OER oder auch freie Bildungsmaterialien, können einen attraktiven Treibstoff für neue Geschäftsmodelle liefern. Der Oberbegriff Open Education vereint dabei viele Stärken, die von Open Source geerbt werden. Denn auch für OER sind Transparenz, Offenheit, Zusammenarbeit, Innovation oder Meritokratie ganz wesentliche Eigenschaften und Werte. Der Blick auf bereits erfolgreiche Open-Source-Geschäftsmodelle erscheint somit naheliegend, um daraus Impulse und Ideen für denkbare OER-Modelle zu gewinnen.

Geschäftsmodell als Blaupause

Die Vorstellungen zu dem Begriff Geschäftsmodell weichen oft deutlich voneinander ab. Somit scheint es sinnvoll, zuerst ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen. Da es bisher keine exakte wissenschaftliche Definition für Geschäftsmodelle gibt, haben sich in der Praxis einige typische Beschreibungen für die Blaupause eines Unternehmens etabliert. Wir greifen gerne auf diese hier zurück:

Ein Geschäftsmodell beschreibt, welchen Mehrwert ein Unternehmen schafft, wie es diesen zu seinen Kunden bringt und wie es ihn auf Dauer sichert. Dabei hat sich als eine besonders wertvolle Methode zum Umgang und zur Strukturierung der Business Model Canvas herausgestellt. Dieser erlaubt es, ein Geschäftsmodell mit allen wesentlichen Teilen auf einen Blick zu visualisieren. Entwickelt man in verteilten Teams gemeinsam ein Geschäftsmodell, so empfiehlt sich der Canvanizer, der die klassischen Papierklebezettel des Business Model Canvas in eine zentrale Webanwendung abbildet.

OER is not a Business Model

Genau wie die Vorlage Open Source stellt auch OER alleine noch kein eigenständiges Geschäftsmodell dar. Beide sind vielmehr als zeitgemäßes Marketinginstrument ein Multiplikator und Türöffner, um über einen glaubwürdigen und unaufdringlichen Weg in Kontakt mit Nutzern zu kommen. Neue Kunden lassen sich so über einen inhaltlich wertvollen Pull statt einem aufdringlichen Push erreichen.

Erfolgreiche Open-Source-Unternehmen zeigen, dass die eigentliche Wertschöpfung nicht im Erstellen der Open-Source-Software liegt, sondern in den damit verbundenen Dienstleistungen und Angeboten. So kann auch OER letztlich nur die eigentlichen Einnahmequellen vorbereiten und den Vertriebsprozess unterstützen. Bei Open Source besteht das Angebot oft in der Integration der jeweiligen Open-Source-Software (OSS) in bestehende Umgebungen oder spezielle, vom Kunden gewünschte Erweiterungen, die noch nicht im Funktionsumfang enthalten sind.

Einen vergleichbaren Mehrwert gilt es auch bei OER zu schaffen. Basis dafür bildet das spezielle Wissen um die Inhalte sowie die Alleinstellung bei den dazu angebotenen Dienstleistungen. Als bisherige Erfolgsbeispiele finden sich Vorreiter wie Khan Academy, Codeacademy oder auch MOOC-Anbieter wie Coursera, EdX und Udacity.

Aufbau einer Vertrauensbasis

Während bei proprietärer Software oder nicht frei verfügbaren Lernmaterialien die Einnahmen in der Regel über die Lizenzierung entstehen – d.h. der Kunde zahlt für das Recht, die Software oder die Inhalte zu nutzen – fällt dieser Weg bei reiner OSS bzw. OER weg. Die Nutzung der Software und Inhalte ist hier grundsätzlich kostenfrei und dient stattdessen als Grundlage dafür, um Vertrauen und eine belastbare Beziehung zu möglichen Kunden aufzubauen.

Im Gegensatz zu kommerziellen (geschlossenen) Angeboten, die mit oft erheblichem Aufwand (Vertriebskosten) aktiv an Kunden verkauft werden müssen, laden OSS oder OER dazu ein, auf Basis von Empfehlungen oder Recherche einen zuerst einmal unverbindlichen Eindruck von der Verwendbarkeit zu erhalten. Es muss in diesem Fall nicht gleich die sprichwörtliche Katze im Sack gekauft werden.

Freemium bahnt den Weg zum Kunden

Hat sich ein Interessent am Ende für eine freie Lösung entschieden, so wird diese jedoch nur vermeintlich kostenfrei erworben. Denn ist die Evaluierung positiv verlaufen, so hat man an diesem Punkt bereits ganz wesentlich investiert. Es wurden Zeit und Energie aufgewendet, um das System oder die Inhalte zu testen und diese in die eigene Umgebung zu integrieren oder sie für die eigenen Bedürfnisse aufzubereiten.

Zusätzlich herrscht kaum mehr Unsicherheit darüber, ob die Entscheidung die richtige ist – schließlich hat sich das Angebot im Testeinsatz bereits bewährt. Hier zeigt sich auch eine ganz kritische Voraussetzung für den Erfolg: Nur wenn ein Angebot wirklich qualitativ hochwertig ist, wird es die Hürde einer kritischen Evaluierung nehmen.

Die bereits erwähnten Anbieter von Massive Open Online Courses (MOOCs) zeigen auch, wie Freemium-Modelle erfolgreich genutzt werden können, um ein traditionelles Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. In Vergangenheit haben sich Universitäten zu einem wesentlichen Teil aus den vergleichsweise hohen Studiengebühren von wenigen Studenten vor Ort finanziert. Über die MOOCs erreichen die Universitäten nun aufgrund der kostenfreien und unbeschränkten Teilnahme in einzelnen Kursen teilweise mehrere hunderttausend Teilnehmer. Der konsequente Einsatz von Digitalisierung sowie Mechanismen wie Peer Review ermöglichen es, dies dennoch effizient zu gestaltet.

Auf den ersten Blick fällt der erzielbare Umsatz für einen einzelnen Studenten deutlich niedriger aus. So wird vermehrt eine (geringe) Gebühr für die Erteilung des Zertifikats beim erfolgreichen Bestehen eines Kurses erhoben. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen ergeben sich aber in der Summe durchaus relevante Umsätze, die mittelfristig einen wesentlichen Beitrag zur Kostendeckung liefern können.

Möglich geworden ist dieses Modell erst durch das kostenfreie Bereitstellen der Inhalte. Wobei diese nicht wirklich frei verfügbar sind, d.h. ausdrücklich nicht beliebig selbst verwendet, verbessert oder weiterentwickelt werden können, sondern dem strengen Copyright der jeweiligen Universität unterliegen. Konsequent umgesetzte OER wie bei den Kursen der Wikiversity sind bisher noch die Ausnahme.

Sicherung der Wertschöpfung

Was hält aber nun bei konsequent freien OER-Materialien ein unabhängiges drittes Unternehmen davon ab, vergleichbare Angebote auf Basis dieser freien Inhalten auf den Markt zu bringen, im Zweifelsfall die bisher geleistete Arbeit einfach zu kopieren? Grundsätzlich ist jeder Mitbewerb zuerst einmal begrüßenswert, da er potentiell die Entwicklung der Materialien vorantreibt, Innovation fördert und einen anspornenden Wettbewerb erzeugt, von dem letztlich alle Beteiligten profitieren.

Die entscheidende Abgrenzung gegenüber Mitbewerbern lässt sich in der Praxis meist nur über einen entsprechenden Wissens- und Erfahrungsvorsprung sichern. Dies lässt sich am Besten mit der Idee für ein neues Startup vergleichen. Solange es sich um nicht mehr als eine Idee handelt, kann diese von Jedem einfach kopiert werden. Erst wenn sich ein Gründerteam intensiv mit der Umsetzung der Idee beschäftigt und die entsprechenden Geschäftsprozesse dazu entwickelt hat, ergibt sich daraus ein entscheidender Vorsprung. Dieser muss dann allerdings auch stetig mit Nachdruck vorangetrieben werden, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen.

Open Source zeigt weitere Wege für eine alternative Absicherung auf – hier wird in der Praxis z.B. eine sogenannte duale Lizenzierung angewendet. Hier lässt der Anbieter eine Nutzung unter der freien Lizenz nur in bestimmten Fällen zu. So kann die nicht-kommerzielle Verwendung kostenfrei gewährt werden, während der kommerzielle Einsatz kostenpflichtig lizensiert werden muss.

Einen weiteren Weg zur nachhaltigen Absicherung der Wertschöpfung bietet das Markenrecht. So sichern sich zum Beispiel das Open Hardware Projekt Arduino oder der Linux Anbieter RedHat Teile ihres Geschäfts über den Markennamen und erschweren es damit anderen Unternehmen, verwechselbare Produkte und Dienstleistungen anzubieten.

Übertragung auf OER

Die bisherigen Überlegungen orientieren sich an den bereits erfolgreichen Modellen wie Open Source oder Open Hardware. Sie lassen sich an vielen Stellen auch auf Open Education und OER anwenden. Analog wie dort Open-Source-Software oder offene Hardware den Rohstoff für das Geschäftsmodell liefern, können hier freie Bildungsmaterialien genutzt werden.

Die gemeinschaftliche Entwicklung und Verbesserung der Materialien zusammen mit der Community und möglichen weiteren Mitbewerbern, die ebenfalls ihr Geschäft darauf aufbauen, sichert dabei die Attraktivität der OER-Inhalte. Im Idealfall entsteht ein offenes Ökosystem, an dem viele Parteien teilhaben können. Der geschäftliche Erfolg jedes Einzelnen bildet dann die Grundlage für den Gesamterfolg von allen.

Autor:

Stefan Probst ist Entrepreneur mit einer ausgeprägten Vorliebe für offene Strategien, offene Geschäftsmodelle und offene Prinzipien. Er begleitet Unternehmen dabei, das Geschäftsmodell auf das digitale Zeitalter auszurichten, neue Quellen für externe Wertschöpfung zu aktivieren und eine Anziehungskraft für kreative Köpfe zu entwickeln.

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