Bild: Tony Webster (https://flic.kr/p/tNgaub), "Los Angeles School Police Department LASPD", https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode


Fusion von OER-Projekten: Chancen und Herausforderungen

Wenn zwei zwar thematisch ähnliche Projekte zusammenzuwachsen sollen, dann ist dies meistens mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Geschäftsformen und -modelle müssen miteinander in Einklang gebracht werden, Arbeitsstrukturen angepasst und, im Falle von zwei Community-Projekten, Ehrenamtliche betreut und auf die Fusion vorbereitet werden. Stephan Kulla, Franz Tessun, Andreas Häfner und Prof. Dr. Werner Fröhlich erläutern am Beispiel der Projekte Mathe für Nicht-Freaks und Serlo welche Vorteile und Herausforderungen ihnen bei der Fusion der Projekte begegnet sind.

Vorteile und Herausforderungen im Zusammenschluss von OER-Projekten

Erfahrungen im Projekt Mathe für Nicht-Freaks

Mathe für Nicht-Freaks ist eine offene und kostenfreie Lehrbuchreihe für Studienanfänger, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen möglichst einfachen und verständlichen Einstieg in die Mathematik der Hochschulen zu bieten. Wie viele andere OER-Projekte entwickelte es sich aus einem reinen Freizeitprojekt. Mit der Zeit sind Engagement und Community immer mehr gewachsen und so wurden Stimmen laut, man müsse ein Unternehmen oder einen Verein gründen (beispielsweise um Spendengelder einsammeln und verwalten zu können).

Jedoch wäre eine solche Gründung mit erheblichem Aufwand verbunden. Auch ergeben sich langfristig zusätzliche Aufgaben wie beispielsweise eine Buchhaltung oder eine Mitgliederverwaltung, die unsere ehrenamtliche Autorenschaft zusätzlich hätte leisten müssen. Deswegen sind wir stets vor einem solchen Schritt zurückgeschreckt.

Nun steht die größte Änderung in unserer 6-jährigen Geschichte bevor: Der Zusammenschluss mit dem befreundeten OER-Projekt Serlo, welches bereits einen Verein mit vielen ehrenamtlichen Helfern gegründet hat. So erhält Mathe für Nicht-Freaks letztendlich doch eine Vereinsstruktur, nur dass diese nicht erst durch die Community mühsam aufgebaut werden muss.

Dieser Zusammenschluss demonstriert damit eindrucksvoll, welche Vorteile gerade für kleine OER-Projekte in einer engen Zusammenarbeit bzw. einer Fusion liegen. Die Ressourcen beider Projekte können gebündelt und die Verwaltung kann gemeinsam organisiert werden. Strukturen, die ein OER-Projekt bereits aufgebaut hat, können gemeinsam genutzt werden. So werden Kapazitäten frei, die in die Erstellung von neuen OER-Materialien oder in neue Vorhaben fließen können.

Doch welche Vorteile haben große OER-Projekte wie Serlo, die bereits funktionierende Vereins- bzw. Unternehmensstrukturen haben? Durch den Zusammenschluss bündeln beide Projekte ihre Wirkung nach außen, was auch neue Kooperationen ermöglicht. Beispielsweise wird Serlo durch die Fusion mit Mathe für Nicht-Freaks auch im Hochschulbereich aktiv, so dass es besser mit Universitäten zusammenarbeiten kann. Des Weiteren können sich beide Projekte bei Wettbewerben und Preisausschreiben besser präsentieren und erreichen gemeinsam eine größere Sichtbarkeit. Außerdem entspricht ein Zusammenschluss der Philosophie von Open Educational Resources: Zusammenarbeit, Offenheit und ein freier Austausch von Lehrmaterialien sind wichtige Prinzipien. Daher sind Zusammenschlüsse im OER-Bereich konsequent.

Natürlich vollzieht sich eine Fusion nicht ohne Herausforderungen: Zunächst entsteht zusätzlicher Aufwand. Es müssen alle Autoren beider Projekte in den Fusionsprozess eingebunden werden, Arbeits- und Kommunikationsstrukturen synchronisiert und möglicherweise auch Vereins- oder Unternehmensstrukturen vereint werden. Da in unserem Zusammenschluss mit Serlo aber keine rechtlichen Strukturen zusammengelegt werden mussten, fiel dieser zusätzliche Aufwand deutlich geringer als bei Gründung eines eigenen Vereins aus. Problematisch kann es auch werden, wenn beide Projekte ihre Materialien unter inkompatiblen Lizenzen veröffentlichen oder wenn die Zielsetzung stark unterschiedlich ist. Hier und generell im Fusionsprozess ist es wichtig, dass Autoren beider Projekte flexibel sind und neuen Lösungen offen gegenüber stehen.

Im Fall unserer Fusion mit Serlo können wir festhalten und sind überzeugt, dass trotz aller Herausforderungen der Zusammenschluss langfristig ein Gewinn für beide Projekte sein wird. Generell sind Zusammenschlüsse im OER-Bereich eine gute Möglichkeit, um Verwaltungsstrukturen zu bündeln oder in der Summe effizienter zu gestalten. Gerade für kleine OER-Projekte ergeben sich viele Vorteile. Es gilt schließlich: Gemeinsam ist man stärker und gemeinsam kann man Schülern und Studenten besser helfen, unser Hauptziel.

Aufbau und Betreuung einer Community

Die Community ist in vielen OER-Projekten ein wesentlicher, wenn nicht sogar der wichtigste Pfeiler des Projekts. Schließlich ist diese oftmals für die Erstellung der OER-Inhalte verantwortlich. Als wir Mathe für Nicht-Freaks vor 6 Jahren gegründeten, dachten wir noch, dass nach kurzer Zeit auch neue Autoren aktiv würden. Wir hatten ein Banner auf unserer Seite, der alle zur Mitarbeit einlud. Jedoch mussten wir über die Jahre hinweg feststellen, dass man sich in OER-Projekten selbst um den Aufbau der Community kümmern muss. Ein Schwarm, der selbstständig bei freien Projekten mitmacht und diese aufbaut, ist eine Illusion. Dies war auch Thema eines Beitrags im Kurier der Wikipedia.

Also haben wir begonnen, aktiv neue Autoren anzuwerben. Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass sich Mails über Mailinglisten wie die des Max-Weber-Programms oder direktes Ansprechen im Freundes- und Bekanntenkreis gut eignen, um neue Autoren zu finden. Als Mathe für Nicht-Freaks erfolgreicher wurde und in den Google-Suchergebnissen immer mehr Artikel unseres Projekts auftauchten, erhielten wir auch direkte Anfragen von Interessierten. Hier ist unsere Erfahrung aber, dass ein OER-Projekt bereits sehr erfolgreich sein muss, bevor neue Autoren von sich aus aktiv werden. Wir hatten bereits 800.000 Seitenaufrufe pro Jahr, bevor sich die ersten Interessenten bei uns meldeten.

Wichtiger als die Anwerbung neuer Autoren ist in unseren Augen allerdings deren Betreuung. Schließlich sollen sich diese für das OER-Projekt begeistern und langfristig darin engagieren. Hier sollte der Kontakt möglichst persönlich sein: Ein Telefonat ist besser als eine Mail und ein Treffen überzeugt Neulinge eher als ein Telefonat. Deswegen sind Edit-a-thons und Workshops so wichtig. Dies zeigt sich auch im Erfahrungsbericht unseres Autors Franz, den er extra für diesen Artikel erstellt hat:

„Vor einigen Wochen fand ich beim Surfen das Projekt ‚Mathe für Nicht-Freaks‘. Was hätte ich gegeben, wenn es das Internet mit seinen Möglichkeiten schon während meines Studiums gegeben hätte! Da ich als Rentner wieder mehr Zeit habe, habe ich mich angemeldet. Sehr schnell kam die Nachricht, dass ich gerne mitmachen und Artikel schreiben könne. Die Schnelligkeit der Antwort zeigte mir, dass hier tatsächlich etwas passiert. Ich bekam sehr schnell die notwendigen Informationen und konnte nach kurzer Einarbeitungszeit loslegen. Bald hatte ich meinen ersten Artikel fertig und bekam auch die persönliche Rückmeldung von den Organisatoren, dass sie sich sehr über mein Engagement freuen. Auch bei Fehlschlägen und Fehlern meinerseits (insbesondere bei den Regeln der Wikibooks-Plattform) bauten sie mich immer wieder auf. Ermutigungen und Ratschläge waren an der Tagesordnung, was auch für einen ‚Oldie‘ wie mich durchaus motivierend ist. Für mich ist das eine wichtige Arbeit, bei der ich gerne helfe und ich werde weiterhin Artikel für ‚Mathe für Nicht-Freaks‘ schreiben.“ – Franz Tessun

Dieser Erfahrungsbericht von Franz zeigt, wie wichtig eine enge, persönliche und gute Betreuung von Neulingen in einem OER-Projekt ist. Schnelles und ermutigendes Feedback helfen dabei, neue Autoren langfristig für ein Projekt zu begeistern. Die Mühe lohnt sich: Aktuell zählt Franz zu den aktivsten Autoren von Mathe für Nicht-Freaks.

Autoren:

Dieser Artikel wurde von Stephan Kulla, Franz Tessun, Andreas Häfner und Prof. Dr. Werner Fröhlich vom Projekt Mathe für Nicht-Freaks verfasst. Mathe für Nicht-Freaks ist eine offene und freie Lehrbuchreihe für Studienanfänger, welche jedem einen verständlichen Einstieg in die Hochschulmathematik bietet.

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